Komponisten

Hans Thomalla

Hans Thomalla
Portraittext

Was hat Jimi Hendrix mit Frédéric Chopin zu tun? Wenig bis gar nichts, bis sie sich im Jahre 2004 in einem Stück von Hans Thomalla begegneten. Zunächst scheint sich die elegante Salongelassenheit Chopins schlecht gegen den rockigen Exzess eines Hendrix durchsetzen zu können. Aber im weiteren Verlauf seines Stücks wild.thing perforiert und zerlegt Thomalla die Originale, bis sich das überdrehte Schlagzeug und das melancholisch gestimmte Klavier gegenseitig durchdringen. Der hemmungslose, aber jetzt vollkommen vereinzelte Trommelschlag und ein ins Leere laufendes Tastenspiel werden plötzlich Teil einer gemeinsamen Geste.

wild.thing ist in mehrfacher Hinsicht typisch für den ästhetischen Horizont, vor dem Thomalla komponiert. Zum einen hat der 1975 in Bonn geborene Komponist auf die ästhetische Offenheit seiner Generation hingewiesen; und wo er unterschiedliche, historisch disparate Klangmomente miteinander konfrontiert, klammert er auch die Popkultur nicht aus. Zum anderen steht das Material bei Thomalla meist in einem bestimmten Bedeutungszusammenhang, der seinen Werken einen semantischen Rahmen verleiht. Wenn er in Momentsmusicaux eine Passage aus dem Klarinettenquintett von Johannes Brahms und einige Figuren aus einer Etüde von Theobald Böhm einander gegenüberstellt, dann trifft die Intimität kammermusikalischen Musizierens auf den rationalisierten Klangbegriff des Flötenvirtuosen, trifft Verinnerlichung auf Veräußerlichung. Bei Thomalla wird dieser Widerspruch zum Ausgangspunkt einer musikalischen Bewegung, zum Initial eines "semantischen Drifts", in dessen Verlauf die "Verbegrifflichung von Klang allmählich entgleitet" (Thomalla) und etwas Neues und Eigenes entsteht.

Thomalla reichert, wo er Brahms oder Chopin zitiert, seine Werke mit einer gewissen historischen Aura an. Schon ein tonaler Akkord sprengt den avantgardistischen Klanghorizont. Historie ist bei Thomalla aber nie Historismus, sondern stets Vergewisserung der eigenen Position. Er weigert sich, tradierte Stilelemente – von der Klanggebung bis hin zur rhetorischen Floskel – unreflektiert zu übernehmen und wirkt so dem "Ausverkauf von Bedeutungsklischees" (Thomalla) entgegen. Greifbar wird der historische Bezug zum Beispiel in der Figur der Bebung, die dem gleichnamigen Streichtrio nicht nur als barocke Verzierung, sondern auch als eine Empfindungskategorie des musikalischen Subjekts zugrunde liegt, oder aber im Ausruff – bei Thomalla ein Dispositiv, mit dem er die Akustik des Sforzandos, die Rhetorik der Erschütterung und den schieren Affekt des Schreis auf Gemeinsamkeiten hin aushorcht.

Akustische Phänomene wie das Rauschen können genauso Gegenstand der Betrachtung werden wie musikalische Formen, darunter das Charakterstück in Stücke Charakter und das Albumblatt im gleichnamigen Streichquartett. Die Werkreihe der Counterparts wiederum konfrontiert die abstrakte musikalische Figur mit der Materialität des Instruments: Der Cellobogen scheint sich gegen die Melodie aufzubäumen, die unkontrollierte Hüpfbewegung des Flummis, der auf dem Kopfe eines Schlegels steckt, verunmöglicht ein wohl geformtes rhythmisches Schema. Mit seinen musikalischen Fragestellungen knüpft Thomalla überdies an gesellschaftliche, ja bisweilen an geradezu existenzielle Fragen an. Wenn er Fremdheit in seinem Musiktheater Fremd als ästhetische und als politische Position bestimmt, dann geht dies ganz unmittelbar mit der Erkenntnis einher, dass auch er seinem Material als "etwas mir fremd Gegenüberstehendes" begegne.

Er sei ein sprachloser Rhetoriker, hat Thomalla einmal behauptet. Das ist sicher richtig, sofern er seinem historischen Material zunächst nur beobachtend und also sprachlos gegenübersteht. Erst im analytischen Akt des Komponierens wird er der Sprache, der fremden und der eigenen, gewahr. Und dann ist Thomalla natürlich kein "sprachloser Rhetoriker", nicht nur weil er es versteht, so eloquent und klug über Musik zu sprechen, sondern vor allem weil er seine Werke mit einer persönlichen Signatur versieht, ganz als habe auch das Nachdenken über Musik einen spezifischen Klang.

(Björn Gottstein)

Termine

Termine

Archiv

  1. 17.03.2024, 20:00

    SWR2 "Oper"

    Hans Thomalla: "Dark Fall" - Oper in 13 Szenen (Mitschnitt der Uraufführung am 29.2.2024 im Schlosstheater in Schwetzingen)

    Estelle Kruger, Uwe Eikötter, Lila Chrisp, Thomas Berau, Orchester des Nationaltheater Mannheim, Ltg: Alan Pierson

  2. 02.03.2024

    Schlosstheater Schwetzingen

    Hans Thomalla: "Dark Fall" - Oper in 13 Szenen nach Motiven von Johann Wolfgang Goethes „Wahlverwandschaften“

    Musikalische Leitung: Alan Pierson, Regie: Barbora Horáková, Bühne & Kostüme: Annemarie Bulla

    Weitere Aufführungen am 03.03., 06.03. und 08.03 2024!

  3. 29.02.2024

    Schlosstheater Schwetzingen

    Hans Thomalla: "Dark Fall" - Oper in 13 Szenen, Libretto von Juliana Spahr und dem Komponisten nach Motiven von Johann Wolfgang Goethes „Wahlverwandschaften“. Texte der Arien von Joshua Clover (UA)

    Estelle Kruger (Ellen), Uwe Eikötter (Curtis), Lila Chrisp (Ilse), Thomas Berau (Owen), Musikalische Leitung: Alan Pierson, Regie: Barbora Horáková, Bühne & Kostüme: Annemarie Bulla

  4. 28.02.2024, 19:30

    Epiphaniaskirche, Mannheim

    Porträtkonzert Hans Thomalla
    • Wonderblock
    • wild.thing
    • 4 Songs from Dark Spring

    Jake Ingbar (Countertenor), Ensemble Ascolta, Ltg.: Naomi Schmidt

  5. 19.11.2023, 01:00

    Radio Clásica (Spanien)

    Hans Thomalla: "The Brent geese fly in long low wavering lines"

    Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Ltg.: Vimbayi Kaziboni

  6. 18.11.2023, 20:00

    Tsai Performance Center, Boston (USA)

    Hans Thomalla: "Harmoniemusik [1]"

    Sound Icon, Ltg.: Jeffrey Means

  7. 18.10.2023, 20:04

    WDR 3, "Konzert"

    Hans Thomalla: "Fremd" (Ausschnitt, 2. Szene – Kolchis)

    Annette Seiltgen (Sopran/Medea), Stephan Storck (Bass/Jason), Julia Spaeth (Sopran/Erstes Kind), Carlos Zapien (Tenor/Zweites Kind), Staatsorchester Stuttgart, Staatsopernchor Stuttgart, Leitung: Johannes Kalitzke

  8. 21.09.2023

    RTP (Radio Portugal)

    Hans Thomalla: "The Brent geese fly in long low wavering lines"

    Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Ltg.: Vimbayi Kaziboni

  9. 16.04.2023, 15:05

    SWR 2 "Zur Person"

    "Die Opernregisseurin Lydia Steier" Eine Sendung von Bernd Künzig, u.a. mit
    Hans Thomalla: "Dark Spring" (Ausz.)

    Magid El-Bushra (Countertenor)
    Orchester des Nationaltheaters Mannheim
    Leitung: Alan Pierson

  10. 28.02.2023, 20:05

    BR Klassik

    Hans Thomalla: "The Brent gees fly in long low wavering lines" für Orchester (Mitschnitt der UA vom 17.2.2023)

    Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Ltg.: Vimbayi Kaziboni

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